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Neues Familiengesetz: fortschrittlich und emanzipatorisch
In Kuba läuft seit anfangs Februar 22 eine gross angelegte Volksbefragung über das neue Familiengesetz. Bis zum 30. April kann die Bevölkerung über den Entwurf beraten und Änderungswünsche einreichen. Um die notwendigen Debatten führen zu können, werden landesweit mehr als 78.000 Versammlungen durchgeführt an denen jeweils 150 Personen teilnehmen können. Unterstützt wird der mit der Organisation betraute Wahlrat dabei von Hunderten Jurist*innen, Supervisor*innen sowie Aktivist*innen der Studierendenorganisationen. Gemeinsam sollen sie die eingehenden Änderungsvorschläge aufnehmen, für Fragen zur Verfügung stehen und vor allem die Transparenz und Durchführung der gesellschaftspolitischen Diskussionen gewährleisten. Am Ende des Prozesses steht dann die Abstimmung über das neue Familiengesetz in einem Referendum.
Auch die im Ausland lebenden Kubanerinnen und Kubaner können sich an der Debatte beteiligen. Hierzu wurde von Technikern der Hochschule für Informatik in Havanna eigens eine Handy-App programmiert, deren QR-Code über die Botschaften an die jeweiligen Personen weitergegeben wird.
Nicht nur die technischen Mittel und die gewollte Breite der Debatte sind in diesem Kontext von Bedeutung, sondern vor allem auch die zu diskutierenden Inhalte.
Mit dem neuen Familiengesetz soll ein „zeitgemäßer, inklusiver und respektvoller“ Rahmen geschaffen werden in welchem verschiedene Lebensentwürfe Anerkennung finden. Das vorgeschlagene Familiengesetz ist eines der fortschrittlichsten der Welt.
Der Gesetzesvorschlag beinhaltet die Möglichkeit der Eheschliessung und ein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. Es optimiert die Leitlinien zu sexuellen und reproduktiven Rechten und schützt Opfer häuslicher Gewalt.
Das Selbstbestimmungsrecht von älteren Familienmitgliedern, Kindern und Menschen mit Beeinträchtigung wird gestärkt. Ausserdem fördert es die Gleichstellung der Geschlechter und den Respekt für die freie sexuelle Orientierung.
„Wir sehen uns einem Familienkodex gegenüber, der die Garantien der Rechte auf alle Menschen ohne Unterschied ausweitet, keine Modelle verurteilt oder auferlegt und zur Erosion des Patriarchats als Mittel der Unterdrückung und Diskriminierung beiträgt“, betonte Mariela Castro Espín in der Nationalversammlung der Volksmacht, wo der Gesetzesentwurf im Dezember 2021 diskutiert und genehmigt wurde. Als Direktorin des kubanischen Zentrums für Sexualaufklärung CENESEX setzt sich Mariela Castro Espín schon seit vielen Jahren sehr engagiert für die Belange von LGBTIQ* in ihrer Heimat ein.
Vor allem christliche Gruppen mobilisieren derzeit auf der Straße und in den sozialen Netzwerken massiv gegen das neue Gesetz: “Seremos como Cristo” (wir werden so sein wie Jesus Christus), sagt ein Kind mit blauem Kreuzanhänger auf einem Kampagnenbild in Anspielung an die staatliche Pionierorganisation, deren Motto “Seremos como el Che” lautet. Darunter wird mit Hashtags wie “Nein zum neuen Familiengesetz” und “Mit meinen Kindern legst du dich nicht an” geworben. Auf den Straßen Havannas finden dieser Tage gehäuft Predigten von evangelikalen Gruppen statt, wobei vor “Gender-Ideologie”, “gefährlicher Sexualerziehung” und “Untergrabung der elterlichen Autorität” gewarnt wird.
Laut der Soziologin Geydis Fundora von der Universität Havanna ist bereits seit einigen Jahren eine Zunahme konservativer Diskurse durch fundamentalistische Kreise in Kuba zu beobachten. Die Narrative ähnelten dabei denen jener christlicher Gruppen, welche in Brasilien den rechtsgerichteten Präsidenten Jair Bolsonaro unterstützten. Hinzu komme, dass nicht alle den „Código“ tatsächlich gelesen hätten. “Einige bilden sich ihre Meinung auf Basis solcher Kampagnen oder Ansichten von Nachbar*innen. Dabei wird häufig gegen einzelne Aspekte polemisiert, ohne dem gesamten Umfang des Gesetzes Rechnung zu tragen”, so Fundora.
Eine weitere Kontroverse ist um die Reform des Sorgerechts und die Rechte von Kindern in der Familie entstanden. Der aus dem römischen Recht stammende Sorgerechtsbegriff “patria protestad”, mit dem traditionell der Vater als Familienoberhaupt verknüpft ist, soll durch den neutralen Ausdruck “responsabilidad parental”, elterliche Verantwortung, ersetzt werden. Damit einher geht die Stärkung der kindlichen Autonomie. Der Entwurf wird in diesem Bereich sowohl begrifflich als auch inhaltlich in Übereinstimmung mit der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen gebracht. Teile der Gesellschaft nehmen dies jedoch als Bedrohung wahr.
(Informationsquellen: amerika21/cuba heute/Gramna/Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba)