»Die Blo­cka­de ist rei­ner Terrorismus«

By Published On: Okto­ber 13, 2024Cate­go­ries: News, US Blo­cka­de

Pro­duk­ti­on und Import von Lebens­mit­teln wer­den in Kuba durch das US-Embar­­go immer wie­der behin­dert. Das hat fata­le Fol­gen für die Bevölkerung. Gespräch mit Lis­set­te Fernández Páramo (ACPA)

Car­me­la Negre­te                                                                                                                                            Jun­ge Welt: 10.10.2024

 

Auf­grund der Blo­cka­de, die die USA über Kuba verhängt haben, pla­gen die dor­ti­ge Land­wirt­schaft schon lan­ge Pro­ble­me. Wie ist die aktu­el­le Lage?

Heu­te ist die kuba­ni­sche Land­wirt­schaft akut von einem Man­gel an Betriebs­mit­teln betrof­fen, es fehlt zum Bei­spiel Erdöl für den Betrieb der Maschi­nen; der Zugang zu Werk­zeu­gen sowie Ersatz­tei­len für Trak­to­ren und Ern­te­ma­schi­nen ist den Bau­ern erschwert. Star­ke Beeinträchtigung herrscht im Bereich der Bewässerung, denn Zei­ten der Bewässerung sind auch Spit­zen­zei­ten des Ener­gie­ver­brauchs im Land. Dann muss prio­ri­siert wer­den: Ent­we­der bewässern wir die Pflan­zen oder wir ver­sor­gen die Men­schen mit Strom. Das größte Hin­der­nis bleibt die Blo­cka­de, die uns die Regie­rung der Ver­ei­nig­ten Staa­ten seit mehr als 60 Jah­ren wirt­schaft­lich und finan­zi­ell auf­er­legt. 2019 wur­de sie verschärft, 243 wur­den zusätzliche Maß­nah­men verhängt, die uns das Leben extrem erschwe­ren. Da Kuba in der US-Lis­­te von staat­lich gefördertem Ter­ro­ris­mus ver­zeich­net ist, erhal­ten wir zum Bei­spiel auch kei­nen Zugang zu Ent­wick­lungs­gel­dern der Ver­ein­ten Natio­nen. Ausländische Inves­ti­tio­nen in Kuba sind eingeschränkt, da ausländische Unter­neh­mer, die Kuba besu­chen, Schwie­rig­kei­ten haben, Stand­or­te in den USA anzu­sie­deln. Wol­len wir etwa eine Schiffs­la­dung Die­sel oder Erdöl kau­fen, bei­des ist in Kuba extrem knapp und wird drin­gend benötigt, sto­ßen wir auf vie­le Hin­der­nis­se. An eini­gen Orten fehlt bis zu zwölf Stun­den am Tag der Strom, weil wir kei­ne Ersatz­tei­le für die Wärmekraftwerke und auch kein Öl bezie­hen können. Der Zugang zu Kre­di­ten ist uns ver­wehrt, so sind wir gezwun­gen, bar zu zah­len. Der Tou­ris­mus ist eben­falls beeinträchtigt. Nach der Pan­de­mie hat­te sich die Lage etwas ver­bes­sert, aber das vor­he­ri­ge Niveau haben wir immer noch nicht erreicht. Wer nach Kuba reist, darf für sechs Mona­te nicht visa­frei in die USA ein­rei­sen. Früher kamen vie­le europäische Tou­ris­ten nach Kuba, aber jetzt rei­sen vie­le des­halb lie­ber in die Domi­ni­ka­ni­sche Republik.

Was wird unter­nom­men, um die Energieengpässe zu beseitigen?

Wir arbei­ten an der Umstel­lung der Ener­gie­ver­sor­gung. Unse­re Pro­jek­te zie­len dar­auf ab, Solar­pa­nee­le mit Bat­te­rien und Wech­sel­rich­tern zu beschaf­fen, damit sol­len hautpsächlich Pum­pen betrie­ben wer­den, um die Bewässerung in den ländlichen Gemein­den zu ermöglichen. Außer­dem errei­chen uns Spen­den wie etwa gut erhal­te­ne Trak­to­ren. Im ver­gan­ge­nen Jahr spen­de­te Cuba Sí sechs Trak­to­ren an kuba­ni­sche Unter­neh­men und Genos­sen­schaf­ten. Cuba Sí unterstützt uns mit Spen­den, die per Con­tai­ner ver­schifft wer­den, aller­dings ist das teu­er und umständlich. Ein Con­tai­ner, der durch Spen­den­fi­nan­zie­rung einen Hafen in Deutsch­land ver­las­sen kann, muss erst nach Car­ta­ge­na de Indi­as in Kolum­bi­en gelan­gen und dort auf ein wei­te­res Schiff war­ten, da Schif­fe, die in kuba­ni­schen Häfen anle­gen, sechs Mona­te lang nicht in US-ame­ri­­ka­­ni­­schen Häfen ein­lau­fen dürfen. Es gibt nur drei bis fünf Schif­fe, die die­se Sank­tio­nen in Kauf neh­men und von dort nach Kuba fah­ren. Der jewei­li­ge Con­tai­ner muss also in die War­te­schlan­ge, obwohl er drin­gend benötigte Mate­ria­li­en für die Lebens­mit­tel­pro­duk­ti­on enthält. Das wur­de noch­mals deut­lich 2022, als Kuba vom Hur­ri­kan »Ian« in Pinar del Río schwer getrof­fen wur­de. Die Aus­wir­kun­gen waren ver­hee­rend. Wir haben uns sofort an Cuba Sí gewandt, die uns mit Mate­ria­li­en im Wert von 150.000 Euro unterstützten. Wir kauf­ten davon Dach­zie­gel und ande­res Mate­ri­al. Als Cuba Sí die Zah­lung an den Lie­fe­ran­ten leis­ten woll­te, wur­de das Kon­to ein­ge­fro­ren. Die Begründung war, dass die Arbeits­ge­mein­schaft zur Par­tei Die Lin­ke gehört und das Geld nach Kuba ging. Kaum fie­len die Stichwörter Lin­ke und Kuba wur­de die Überweisung blo­ckiert. Wir muss­ten das Geld nach Deutsch­land zurückschicken und ein ande­res Kon­to suchen, um den Lie­fe­ran­ten bezah­len zu können. In der Zwi­schen­zeit war­te­ten die Men­schen in Pinar del Río auf die Dach­zie­gel. Die Unter­neh­men konn­ten ihre Gebäude nicht decken. Auch die Lie­fe­rung von Medi­ka­men­ten und medi­zi­ni­schen Gütern verzögerte sich um fast vier Mona­te, währenddessen die Trans­port­kos­ten stiegen.

Das gilt auch für den Han­del mit China?

Ver­gan­ge­nes Jahr haben wir in Chi­na Mate­ria­li­en gekauft. Der Lie­fe­rant, der sei­ne Pro­duk­te in Chi­na beschafft hat­te, wur­de aus Kuba bezahlt. Aller­dings konn­te das Geld von dort nicht nach Chi­na trans­fe­riert wer­den, was die Lie­fe­rung nach Kuba ver­hin­der­te. Die Blo­cka­de erfasst mitt­ler­wei­le alle Berei­che des Han­dels auf der Insel. Sie beeinträchtigt direkt die öffentliche Gesund­heit und die Ernährungssicherheit.

Wie steht es um Ernährungssicherheit?

In Kuba war es jahr­zehn­te­lang Tra­di­ti­on, dass jeder Bürger über das staat­li­che Ver­tei­lungs­sys­tem eine Grund­ver­sor­gung mit Lebens­mit­teln erhielt. An jedem ers­ten Tag des Monats gab es in den Läden die ratio­nier­te Grund­ver­sor­gung für alle elf Mil­lio­nen Kuba­ner. Reis, Boh­nen, Brot, eine bestimm­te Men­ge an Hühnerfleisch oder Wurst, täglich einen Liter Milch für Kin­der bis zum sieb­ten Lebens­jahr, Zucker und ande­re Pro­duk­te. Das reich­te nicht, um den gesam­ten Monats­be­darf zu decken, aber es gab Sicher­heit, denn der kuba­ni­sche Staat sub­ven­tio­nier­te die­se Pro­duk­te zu erschwing­li­chen Prei­sen. Heu­te gibt es eine uner­bitt­li­che Ver­fol­gung durch die US-Regie­rung, die jede Trans­ak­ti­on behin­dert, wenn Kuba im Aus­land Lebens­mit­tel zukau­fen will. Wir können den Reis oder das Wei­zen­mehl meist nicht bezah­len. Bezah­len wir, kann das Schiff die Ware oft nicht trans­por­tie­ren. Manch­mal liegt das Schiff im Hafen, und es gibt kei­ne Möglichkeit, die Zah­lung an die Ree­de­rei zu leis­ten, weil die USA auch die Ree­de­rei sank­tio­nie­ren würden. Das ist ermüdend.

Steigt ange­sichts die­ser Lage der Unmut in der Bevölkerung?

Es gibt eine Stim­mung der Unzu­frie­den­heit. Alles wird dann auf die Regie­rung gescho­ben. Behaup­tet wird da, Kuba sei ein geschei­ter­ter Staat, der die Befrie­di­gung der Grundbedürfnisse nicht gewährleisten könne. Kuba besaß früher die Fähigkeit, Hun­der­te von Medi­ka­men­ten der Grund­ver­sor­gung im eige­nen Land zu pro­du­zie­ren, wie z. B. Blut­druck­me­di­ka­men­te, Insu­lin für Dia­be­ti­ker, Anti­bio­ti­ka und Impf­stof­fe für Kin­der. Früher wur­den in Kuba Kin­der gegen mehr als 20 Krank­hei­ten geimpft – kos­ten­los. Heu­te muss der Staat Impf­stof­fe in Indi­en kau­fen, obwohl Kuba die Infra­struk­tur hat, sie selbst her­zu­stel­len, was aber nicht mehr möglich ist, weil uns die Roh­stof­fe feh­len. Was dem kuba­ni­schen Volk heu­te widerfährt, ist rei­ner Ter­ro­ris­mus. Das Ziel der US- Regie­rung ist ein­deu­tig: Sie wol­len alles, was die Kuba­ni­sche Revo­lu­ti­on erreicht hat, zunich­te­ma­chen. Die öffentliche Gesund­heits­ver­sor­gung in Kuba war erst­klas­sig, es gab einen Haus­arzt für je 150 Ein­woh­ner, und Kuba hat­te welt­weit die meis­ten Ärzte, die im Aus­land tätig waren. Die­se medi­zi­ni­sche Zusam­men­ar­beit wur­de zerstört, weil wahr­heits­wid­rig behaup­tet wur­de, kuba­ni­sche Ärzte sei­en Skla­ven. Zuerst wur­de das Pro­gramm »Más Médicos« in Bra­si­li­en unter Jair Bol­so­n­a­ro been­det, dann wur­den die kuba­ni­schen Ärzte aus Boli­vi­en abge­zo­gen. Unse­re her­vor­ra­gen­den Han­dels­be­zie­hun­gen zu Vene­zue­la wur­den durch die ein­sei­ti­gen Sank­tio­nen der USA eben­falls schwer getrof­fen. Ich den­ke, die trotz eini­ger Unzu­frie­den­heit bestehen­de Resi­li­enz der Kuba­ner liegt dar­in, dass die Mehr­heit weiß, dass nichts Gutes aus den USA kommt. Ich kann nicht sagen, dass alle elf Mil­lio­nen Kuba­ner das so sehen, aber ich bin überzeugt, dass die meis­ten wis­sen, dass wir, wenn wir die Errun­gen­schaf­ten der Revo­lu­ti­on auf­ge­ben, ver­lo­ren sind.

Eine ande­re Fra­ge. Wie ent­wi­ckeln sich die klei­nen Privatunternehmen?

In Kuba kann seit etwa vier oder fünf Jah­ren jeder ein Pri­vat­un­ter­neh­men gründen. Es gibt mitt­ler­wei­le vie­le klei­ne Geschäfte, die Lebens­mit­tel impor­tie­ren. Aller­dings sind die Prei­se so hoch, dass sich die Bevölkerung die­se Pro­duk­te nicht leis­ten kann. Vor eini­gen Mona­ten sah sich die Regie­rung gezwun­gen, die Prei­se für Grund­nah­rungs­mit­tel zu regu­lie­ren. Als die­se Ober­gren­zen fest­ge­legt wur­den, began­nen sich die klei­nen und mitt­le­ren Unter­neh­men aufzulösen. Es gab auch US-Märkte mit Filia­len in Kuba, über die Kuba­ner im Aus­land Pake­te für ihre Fami­li­en kau­fen konn­ten. Doch auch das haben die Ame­ri­ka­ner jetzt eingeschränkt. Pake­te dürfen nicht mehr gesen­det wer­den. Die USA zie­len auf einen sozia­len Auf­stand und Blut­ver­gie­ßen ab.

Wel­che Lösungen gibt es im Bereich Ernährung und Landwirtschaft?

2022 wur­de das Gesetz über Ernährungssicherheit, Ernährungssouveränität und Ernährungsbildung ver­ab­schie­det, um das land­wirt­schaft­li­che Modell in Kuba umzu­ge­stal­ten. Es gibt den Gemein­den als Basis­zel­len des Lan­des mehr Auto­no­mie. Nichts wird mehr auf natio­na­ler Ebe­ne kon­trol­liert, son­dern die Gemein­den ent­schei­den selbst, was sie pro­du­zie­ren müssen, je nach ihren Grundbedürfnissen. Es gibt weni­ger Bürokratie. Die Pro­du­zen­ten können, nach­dem sie die Men­gen für die sozia­le Ver­sor­gung erfüllt haben, den Rest zu einem höheren Preis ver­kau­fen, um so ihr Ein­kom­men zu ver­bes­sern. Sie ver­kau­fen an den Staat zu sub­ven­tio­nier­ten Prei­sen für Schu­len, Krankenhäuser und die Grund­ver­sor­gung. Eini­ge pro­du­zie­ren sogar schon für den Export – Früchte, Gemüse. Wir arbei­ten an vie­len Koope­ra­ti­ons­pro­jek­ten und fördern ausländische Inves­ti­tio­nen. Es ist auch erlaubt, in frei kon­ver­tier­ba­ren Währungen zu ver­kau­fen, was es den Pro­du­zen­ten ermöglicht, ihre Infra­struk­tur zu ver­bes­sern und not­wen­di­ge Ausrüstungen zu kaufen.

Lis­set­te Fernández Páramo ist Lebens­mit­tel­wis­sen­schaft­le­rin an der Universität Havan­na und Vor­sit­zen­de der Asociación Cuba­na de Producción Ani­mal.                 Die Kuba­ni­sche Ver­ei­ni­gung für Tier­pro­duk­ti­on (Asociación Cuba­na de Producción Ani­mal, ACPA) ist eine gemeinnützige Ver­ei­ni­gung, die kürzlich ihr 50jähriges Bestehen gefei­ert hat. Sie arbei­tet eng mit dem Land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um zusam­men. Sie hat einen bera­ten­den Sta­tus beim Wir­t­­schafts- und Sozi­al­rat der Ver­ein­ten Natio­nen (Eco­soc). Ihre Haupt­mis­si­on besteht dar­in, Ernährungssouveränität zu fördern sowie Aus- und Wei­ter­bil­dungs­pro­gram­me anzu­bie­ten, bei­spiels­wei­se zur Förderung der Geschlech­ter­gleich­stel­lung im ländlichen Raum oder zur Förderung jun­ger Viehzüchter. Die Orga­ni­sa­ti­on ver­sucht, der Abwan­de­rung der ländlichen Bevölkerung mit Pro­gram­men ent­ge­gen­zu­wir­ken, die gezielt jun­ge Men­schen unterstützen. In Zusam­men­ar­beit mit dem deut­schen Ver­ein Cuba Sí setzt die ACPA Pro­jek­te in vier Pro­vin­zen des Lan­des um, die sich nicht nur auf die Land­wirt­schaft kon­zen­trie­ren, son­dern auch gene­rell auf die Schaf­fung bes­se­rer Lebens­be­din­gun­gen für die Men­schen. Die­se Pro­gram­me lau­fen bereits seit über 30 Jah­ren und umfas­sen den Bau von Woh­nun­gen, die Ver­bes­se­rung der Mobilität (z. B. durch Fahrräder) und die Bereit­stel­lung von Mate­ria­li­en für Büroarbeiten. Schu­len wer­den mit Com­pu­tern, ande­ren Geräten und Mate­ri­al aus­ge­stat­tet. Für das Gesund­heits­sys­tem wer­den medi­zi­ni­sche Geräte bereit­ge­stellt, die in vie­len Regio­nen Man­gel­wa­re sind.

Die Stei­ge­rung der land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ti­on in den betref­fen­den Kom­mu­nen sorgt für eine bes­se­re Ver­sor­gung der loka­len Märkte, was wie­der­um zu nied­ri­ge­ren Prei­sen und einem bes­se­ren Zugang zu Nah­rungs­mit­teln führt. Die ACPA besteht aus zwei asso­zi­ier­ten Grup­pen, die in ins­ge­samt zwölf Pro­duk­ti­ons­ge­nos­sen­schaf­ten inte­griert sind, die sich mit der Zucht aller Arten von Nutz­tie­ren befas­sen. Zudem hat die Orga­ni­sa­ti­on in den ver­gan­ge­nen Jah­ren den Schwer­punkt auf die Widerstandsfähigkeit der Vieh­zucht ange­sichts des Kli­ma­wan­dels gelegt.

Die Diver­si­fi­zie­rung der Pro­duk­ti­on ist ein wei­te­rer wich­ti­ger Aspekt der Arbeit der ACPA. Vie­le Zucht­un­ter­neh­men in Kuba spe­zia­li­sie­ren sich heu­te nicht mehr nur auf eine ein­zi­ge Tier­art. Sie sind brei­ter auf­ge­stellt, ins­be­son­de­re mit klei­nen Nutz­tie­ren wie Scha­fen, Zie­gen, Kanin­chen und Hühnern. Sie eig­nen sich nicht nur für die Zucht, son­dern können auch die Pro­duk­ti­on ankur­beln, was zu höheren Ein­kom­men für die Bewoh­ner der ländlichen Gebie­te beiträgt.(cn)

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