»Demo­kra­ti­sche Übung in ganz Kuba«

By Published On: April 26, 2022Cate­go­ries: Eman­zi­pa­ti­on, News

»Demo­kra­ti­sche Übung in ganz Kuba«                                                                                            Der Ent­wurf des neu­en Fami­li­en­ge­set­zes wird vor einem Ple­bis­zit in Nach­bar­schafts­ver­samm­lun­gen dis­ku­tiert.                                                                                                                                                               Von Andre­as Knob­loch, Havan­na, 06.04.2022

 

Inter­view mit Yusuam Pala­ci­os Orte­ga                                                                                     Yusuam Pala­ci­os Orte­ga ist Prä­si­dent der kuba­ni­schen Jugend­be­we­gung Mar­tia­no, Direk­tor des Muse­ums Fra­gua Mar­ti­na und Abge­ord­ne­ter der kuba­ni­schen Natio­nal­ver­samm­lung. Am Ran­de einer Nach­bar­schafts­ver­samm­lung zum neu­en Fami­li­en­ge­setz in Havan­nas Alt­stadt sprach mit ihm Andre­as Knobloch.

Kuba erhält ein neu­es Fami­li­en­ge­setz. Über des­sen end­gül­ti­ge Fas­sung soll vor­aus­sicht­lich im Herbst in einem Refe­ren­dum abge­stimmt wer­den. Der­zeit fin­den über­all im Land Nach­bar­schafts­ver­samm­lun­gen statt, auf denen der Gesetz­ent­wurf dis­ku­tiert wird. Wie bewer­ten Sie die Ver­samm­lung in der Alt­stadt Havan­na, an der sie teil­ge­nom­men haben?

Zunächst ein­mal waren wir Zeu­ge eines demo­kra­ti­schen Akts in Kuba, der Betei­li­gung der Bür­ger. Die Art und Wei­se, wie die Ver­samm­lung ablief, die Erläu­te­rung des Ent­wurfs des Fami­li­en­ge­setz­buchs, die Kri­te­ri­en der Per­so­nen, die sich zu Wort gemel­det haben, die Kom­men­ta­re, die abge­ge­ben wur­den — ich den­ke, es war eine sehr posi­ti­ve Nach­bar­schafts­ver­samm­lung. Sie hat statt­ge­fun­den, damit die kuba­ni­schen Bür­ger sich zum vor­ge­schla­ge­nen Geset­zes­text äußern und ihre Kri­te­ri­en ein­brin­gen können.

Die 2019 in Kraft getre­te­ne neue Ver­fas­sung for­dert uns auf, unse­re Geset­ze an unse­re Rea­li­tät anzu­pas­sen, und zwar in Über­ein­stim­mung mit dem, was in der Ver­fas­sung ver­ein­bart wor­den ist. Die­ses Fami­li­en­ge­setz ist ein Bei­spiel dafür. Und die heu­ti­ge Ver­samm­lung, die eine von vie­len ist, die im gan­zen Land statt­fin­den, ist wie­der­um ein Bei­spiel für die demo­kra­ti­sche Übung in ganz Kuba in einem sehr schwie­ri­gen Kon­text, in dem die Bür­ger an der Dis­kus­si­on über das neue Fami­li­en­ge­setz betei­ligt werden.

Im Aus­land fokus­siert sich die Rezep­ti­on des neu­en Fami­li­en­ge­set­zes vor allem auf die gleich­ge­schlecht­li­che Ehe, auch wenn der Gesetz­ent­wurf viel weit­rei­chen­der ist.

Das Gesetz ist logi­scher­wei­se sehr umfang­reich. Es umfasst vie­le recht­li­che Aspek­te, regelt vie­le Bezie­hun­gen zwi­schen Men­schen, und natür­lich ist die Fra­ge der gleich­ge­schlecht­li­chen Ehe ein wich­ti­ger Teil der Rege­lung des Fami­li­en­rechts. Aber gera­de weil es sich um ein inte­gra­ti­ves Gesetz han­delt, ist es ein Kodex, in dem die Rech­te aller Men­schen ohne Unter­schied der sexu­el­len Ori­en­tie­rung, des Geschlechts, der reli­giö­sen Über­zeu­gung, der Haut­far­be, kurz gesagt, ohne jede Unter­schei­dung aner­kannt wer­den. Aus die­sem Grund lau­tet die vor­ge­schla­ge­ne Rege­lung zum The­ma Ehe, dass die Ehe eine Kon­stel­la­ti­on zwi­schen zwei Men­schen im gegen­sei­ti­gen Ein­ver­neh­men ist — zwi­schen zwei Men­schen, und nicht nur zwi­schen einem Mann und einer Frau, wie es in unse­rer der­zei­ti­gen Rege­lung der Fall ist. Alle Men­schen haben das Recht, eine Ehe zu schlie­ßen, und das Gesetz regelt die Vor­aus­set­zun­gen und die grund­le­gen­den Fragen.

Die gleich­ge­schlecht­li­che Ehe soll­te in die Ver­fas­sung auf­ge­nom­men wer­den. Das ist aber nicht pas­siert, nicht zuletzt wegen des Wider­stan­des der Kir­chen und gro­ßer Tei­le der Bevöl­ke­rung. Nun wird sie im Fami­li­en­ge­setz ver­an­kert. Wel­che Bedeu­tung haben vor die­sem Hin­ter­grund die Nachbarschaftsversammlungen?

Natür­lich ist dies ein The­ma, das Kon­tro­ver­sen her­vor­ge­ru­fen hat, seit wir über den Ent­wurf der Ver­fas­sung debat­tiert haben. Aus­ge­hend von einem kul­tu­rel­len Ele­ment und jenem tra­di­tio­nel­len Kon­zept der Fami­lie. Offen­sicht­lich aber gibt es auch einen unbe­streit­ba­ren Fort­schritt in der kuba­ni­schen Gesell­schaft des Ver­ständ­nis­ses und der kri­ti­schen Aner­ken­nung der Not­wen­dig­keit, allen Men­schen Schutz und recht­li­che Garan­tien zu geben.

Das wird natür­lich immer wie­der erklärt, immer wie­der kom­men­tiert, immer wie­der betont, und es ist eine Pflicht, die wir alle haben, nicht nur beim The­ma Ehe, son­dern bei allen The­men, denn es gibt die aner­kann­ten Rech­te von Groß­müt­tern und Groß­vä­tern, die aner­kann­ten Rech­te beim The­ma inter­fa­mi­liä­re Gewalt und Dis­kri­mi­nie­rung, und es gibt ande­re The­men, die auch zu Kon­tro­ver­sen füh­ren. Ich glau­be, dass wir das Gesetz nicht auf den Vor­schlag zum The­ma Ehe redu­zie­ren soll­ten. Die­ser ist eine For­mu­lie­rung von vie­len und sehr wich­tig, aber er defi­niert nicht, was das Gesetz vor­schlägt, um die Fami­lie neu zu gestal­ten. In die­sem Sin­ne sind die­se Kon­sul­ta­tio­nen auch dazu da, die Kri­te­ri­en anzu­hö­ren und über die Kon­zep­te, die recht­li­chen Ver­ord­nun­gen und natür­lich den Anwen­dungs­be­reich die­ser Ver­ord­nun­gen aufzuklären.

Gibt es Punk­te in dem Gesetz­ent­wurf, die Ihnen per­sön­lich beson­ders wich­tig sind?

Da Kuba ein Land ist, das stän­dig altert, hal­te ich die Art und Wei­se, in der wir vor­schla­gen, die Rech­te älte­rer Men­schen zu regeln und anzu­er­ken­nen, für sehr wich­tig. Oder Men­schen mit Behin­de­run­gen. Es ist neu, wie die­se Men­schen in dem vor­ge­schla­ge­nen Gesetz­ent­wurf geschützt wer­den, und natür­lich ist alles, was mit häus­li­cher Gewalt und der Fra­ge der Dis­kri­mi­nie­rung inner­halb von Fami­li­en zu tun hat, auch etwas sehr Neu­es, das wir jetzt in die­sem Vor­schlag haben. Das Gesetz ver­sucht, genau die­se Din­ge zu über­win­den, und zwar durch eine Rege­lung der Rech­te und Garan­tien unter dem Ban­ner der Har­mo­nie und des Friedens.

Das vor­ge­schla­ge­ne Fami­li­en­ge­setz ist eines der fort­schritt­lichs­ten der Welt. Wel­che Bedeu­tung hat es für das Land, für die Ent­wick­lung des Landes?

Es ist sehr wich­tig. Nicht nur wegen der Aner­ken­nung von Rech­ten, nicht nur, weil es so inklu­siv ist. Das ver­leiht ihm natür­lich einen grund­le­gen­den Wert. Aber es ist ein Kodex, der sehr kohä­rent mit dem Leben der Kuba­ner ist. Es han­delt sich um ein Gesetz­buch, das auf einen Kon­text, auf eine Rea­li­tät reagiert, das auf inter­na­tio­na­le Ver­trä­ge reagiert, die Kuba unter­zeich­net und rati­fi­ziert hat, und das sich in die­sem Sin­ne anpas­sen muss. Und das tut es mit dem vor­ge­schla­ge­nen Gesetz, ohne dass die­se Anpas­sung die Idea­le oder die Zie­le der kuba­ni­schen Fami­li­en auf­gibt. Es ist ein Kodex, der nach Gleich­ge­wicht und nach mehr sozia­ler Gerech­tig­keit, nach mehr glei­chen Rech­ten für alle strebt. Die­ser Kodex ist eine kol­lek­ti­ve Arti­ku­la­ti­on sei­ner Bür­ger, um das Land zu errei­chen, das wir wollen.