Gestärkte Auto­no­mie

By Published On: August 1, 2022Cate­go­ries: News

Kubas Par­la­ment emp­fiehlt neu­es Fami­li­en­ge­setz zur Abstim­mung, Präsident for­dert Respekt. Mehr Rech­te für Frau­en, Schutz vor Diskriminierung.

Das kuba­ni­sche Par­la­ment hat den Weg für ein pro­gres­si­ves neu­es Fami­li­en­ge­setz geeb­net. Die Abge­ord­ne­ten rie­fen die Bevölkerung vor einer Woche zur Abstim­mung über die Novel­le auf, die das bis­he­ri­ge Gesetz aus dem Jahr 1975 ablösen soll. Nach mona­te­lan­gen, teils kon­tro­ver­sen Dis­kus­sio­nen ent­schei­den die Bürgerinnen und Bürger am 25. Sep­tem­ber in einem Refe­ren­dum über die Annah­me des neu­en Regel­werks. In dem »Código de las fami­li­as« wer­den ver­schie­de­ne Lebensentwürfe aner­kannt und juris­tisch gleich­ge­stellt. Das Gesetz soll unter ande­rem den Schutz vor Dis­kri­mi­nie­rung und Gewalt stärken sowie die Rech­te von Frau­en, Minderjährigen, älteren Fami­li­en­mit­glie­dern und Men­schen mit Behin­de­rung erwei­tern. Auch Bestim­mun­gen zum Sor­ge­recht, Unter­halt, zur Adop­ti­on und zur künstlichen Befruch­tung wur­den erst­mals auf­ge­nom­men oder neu geregelt.

Bis zur Fas­sung des jetzt vom Par­la­ment gebil­lig­ten 25. Ent­wurfs des neu­en Geset­zes war es ein lan­ger Weg. Wie die KP-Zei­­tung Gran­ma am ver­gan­ge­nen Frei­tag berich­te­te, haben Mil­lio­nen Bürgerinnen und Bürger in den ver­gan­ge­nen Mona­ten auf lan­des­weit über 79.000 Ver­samm­lun­gen in Betrie­ben, Ver­wal­tun­gen, Bil­dungs­ein­rich­tun­gen und an Nach­bar­scha stre en über das Geset­zes­vor­ha­ben dis­ku­tiert. Dabei sei­en ins­ge­samt 434.860 Änderungsvorschläge gemacht wor­den, die von einer aus Abge­ord­ne­ten, Wis­sen­scha lern und Ver­tre­tern zivil­ge­sell­scha licher Orga­ni­sa­tio­nen bestehen­den Kom­mis­si­on bear­bei­tet wur­den, erklärte Jus­tiz­mi­nis­ter Oscar Manu­el Sil­vei­ra Martínez. Von dem im Sep­tem­ber ver­gan­ge­nen Jah­res vor­ge­leg­ten ers­ten Ent­wurf sei­en ins­ge­samt 49 Pro­zent der Tex­te verändert wor­den, infor­mier­te der Minis­ter. Eine der wich­tigs­ten Neue­run­gen, die Einführung der »Ehe für alle«, ist in der aktu­el­len Vor­la­ge wei­ter­hin ent­hal­ten, trotz Pro­tes­ten und einer Kam­pa­gne evan­ge­li­ka­ler Grup­pen. Auch Vor­be­hal­te gegen die Neu­fas­sung des Sor­ge­rechts, eines Adop­ti­ons­rechts für homo­se­xu­el­le Paa­re sowie einer Stärkung der Rech­te von Kin­dern in der Fami­lie, als deren »Ober­haupt« nicht mehr auto­ma­tisch der Vater gel­ten soll, fan­den kei­ne Mehrheit.

Präsident Miguel Díaz-Canel bezeich­ne­te die Fami­lie in der Par­la­ments­de­bat­te als »Zusam­men­schluss von Men­schen, die durch ein a ekti­ves, psy­cho­lo­gi­sches und emo­tio­na­les Band ver­bun­den sind, das sie zu einer Lebens­ge­mein­scha macht, in der sie sich gegen­sei­tig unterstützen«. Es sei rich­tig, dass »den Men­schen durch das neue Gesetz die Auto­no­mie und die Ent­schei­dungs­be­fug­nis zuge­stan­den wird, zu hei­ra­ten oder nicht, ihren gleich- oder ver­schie­den­ge­schlecht­li­chen Part­ner zu wählen; die wirt­scha liche Rege­lung der Ehe zu bestim­men; eine fak­ti­sche Ver­bin­dung ein­zu­ge­hen oder nicht, die Ausübung der elter­li­chen Ver­ant­wor­tung inner­halb der Gren­zen des Geset­zes zuguns­ten Drit­ter zu dele­gie­ren oder nicht; ein­ver­nehm­lich die Rei­hen­fol­ge der Nach­na­men von Töchtern und Söhnen, deren Anzahl und den Zeit­punkt zu bestim­men, zu dem sie sie bekom­men wol­len; Instru­men­te zum Selbst­schutz von Men­schen in Situa­tio­nen einer fort­schrei­ten­den Behin­de­rung bereit­zu­stel­len«, erklärte Díaz-Canel. Er bat die Bevölkerung um Zustim­mung beim Refe­ren­dum. In Anspie­lung auf die frühere Ver­fol­gung Homo­se­xu­el­ler in Kuba sag­te er, es gin­ge auch dar­um, »die Schul­den der Ver­gan­gen­heit zu beglei­chen«. Die in Tei­len der Bevölkerung trotz­dem noch immer umstrit­te­nen Neue­run­gen ver­tei­dig­te der Staats­chef mit dem Hin­weis: »Es geht nicht um Tole­ranz, son­dern um Respekt.«

Auch zahl­rei­che Pro­mi­nen­te wer­ben für ein »Ja« bei der Volks­be­fra­gung. So bezeich­ne­te die Abge­ord­ne­te und

Direk­to­rin des 1988 gegründeten »Natio­na­len Zen­trums für Sexualaufklärung« (Cen­e­sex), Marie­la Cas­tro, die den Ent­wurf maß­geb­lich geprägt hat­te, das Refe­ren­dum als »auf­re­gen­den Moment für unser Volk, das sich den fort­schritt­lichs­ten Ideen der Revo­lu­ti­on ver­pflich­tet fühlt«. Bei der Abstim­mung gehe es um »eine Norm, die zur Stärkung unse­res poli­ti­schen Sys­tems und der Errun­gen­scha en, die wir im Bereich der Men­schen­rech­te erzie­len, beiträgt«, sag­te sie. Der Ehren­vor­sit­zen­de der Schri stel­ler­ver­ei­ni­gung UNEAC, Miguel Bar­net, erklärte, dass er ein Ver­fech­ter des neu­en Geset­zes sei, weil er dar­in »ein Boll­werk für die neu­en Gene­ra­tio­nen« sehe, das »uns an die Spit­ze des moder­nen Den­kens brin­gen wird«.

Jun­ge Welt, 29.07.2022

Vol­ker Hermsdorf

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