Die Agrar­re­form beginnt

By Published On: Okto­ber 13, 2021Cate­go­ries: Agrar­wirt­schaft

Im Mai ist das 1963 erlas­se­ne Ver­bot pri­va­ter Rin­der­schlach­tun­gen gefallen

(Quel­le: OnCuba)

„Alle neu macht der Mai“ stimmt auf Kuba heu­er nicht in jeder Hin­sicht. Genau wie im letz­ten Jahr fand der Tag der Arbeit auf der Insel näm­lich wie­der in vir­tu­el­ler Form statt. Bis auf eine Kranz­nie­der­le­gung von höchs­ter Stel­le war der Revo­lu­ti­ons­platz in Havan­na zwar fest­lich geschmückt, ansons­ten aber men­schen­leer. Auch die Anspra­che von Gewerk­schafts­prä­si­dent Uli­ses Gui­l­ar­te de Naci­mi­en­to, der auf die schwie­ri­ge Lage des Lan­des ver­wies, war deut­lich knap­per als sonst. Damit fiel die welt­weit größ­te Mai­de­mons­tra­ti­on Coro­­na-bedingt zum zwei­ten Mal in Fol­ge aus. Auf wirt­schaft­li­chem Gebiet beginnt sich im Mai jedoch eini­ges zu ver­än­dern… Nach Ankün­di­gung eines „Sofort­pa­kets“ für die Land­wirt­schaft, mit dem Kuba sei­ne durch Pan­de­mie und US-San­k­­tio­­nen ange­schla­ge­ne Wirt­schaft wie­der zum lau­fen und die pre­kä­re Lebens­mit­tel­ver­sor­gung ver­bes­sern will, sind nun ers­te Schrit­te sicht­bar. Kurz vor dem letz­ten Par­tei­tag im April wur­den die Umris­se des Pro­gramms bekannt und der zustän­di­ge Minis­ter aus­ge­tauscht. Inzwi­schen sind ers­te Maß­nah­men in Kraft: Rin­der­züch­ter dür­fen seit die­sem Monat erst­mals ihr Vieh selbst schlach­ten und das Fleisch ver­kau­fen. Das jahr­zehn­te­al­te Ver­bot pri­va­ter Kuh­schlach­tun­gen, mit dem ursprüng­lich die Milch­pro­duk­ti­on sicher­ge­stellt wer­den soll­te, ist damit gefal­len. Wenn auch unter Ein­schrän­kun­gen: So müs­sen die Bau­ern zuerst ihre Ver­trä­ge mit dem Staat erfül­len und einen Zuwachs im Bestand nach­wei­sen, bevor sie eine Schlach­tung bei der Gemein­de bean­tra­gen kön­nen. Es gilt die For­mel: Pro drei Tie­re Bestands­zu­wachs darf jeweils eines geschlach­tet wer­den. Das Fleisch kann dann für den Eigen­be­darf ver­wandt oder über staat­li­che Abneh­mer an Super­märk­te in US-Dol­lar und die Tou­ris­mus­in­dus­trie ver­kauft wer­den. Auch Milch kann so gehan­delt wer­den. Bis­her wur­den Ver­stö­ße gegen die 1963 ein­ge­führ­te Regel hart bestraft, was dazu geführt hat, dass man­che Bau­ern ihr Vieh „ver­un­glü­cken“ lie­ßen um ohne die dro­hen­de mehr­jäh­ri­ge Gefäng­nis­stra­fe etwas von dem begehr­ten Fleisch aus ihrer Her­de zu bekom­men. Es ent­stand das geflü­gel­te Wort, dass es auf Kuba heik­ler sei eine Kuh zu schlach­ten, als einen Men­schen zu töten.

Die wei­te­ren Bestand­tei­le des 30 Punk­te umfas­sen­den „Sofort­pro­gramms“ wur­den heu­te in einer Bro­schü­re des Land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­ums (300 KB, PDF) voll­stän­dig ver­öf­fent­licht. Es sieht unter ande­rem die Dezen­tra­li­sie­rung der staat­li­chen Abnah­me­struk­tu­ren sowie die För­de­rung der Auto­no­mie der Pro­du­zen­ten vor. Auf Ebe­ne der Gemein­den und Pro­vin­zen sol­len loka­le Wert­schöp­fungs­ket­ten ent­ste­hen, wel­che unab­hän­gi­ger von der zen­tra­len Steue­rung und damit fle­xi­bler agie­ren sol­len. Koope­ra­ti­ven sol­len ihre Finan­zen selbst­stän­dig ver­wal­ten und damit den übri­gen Wirt­schafts­ak­teu­ren gleich­ge­stellt wer­den. Pro­duk­ti­ons­kos­ten wie Fut­ter, Strom und Was­ser wur­den rück­wir­kend zum 1. Janu­ar um bis zu 60 Pro­zent gesenkt, gleich­zei­tig erhal­ten Bau­ern Zugang zu Kre­di­ten und Ver­si­che­run­gen. Inves­ti­tio­nen sol­len bes­ser prio­ri­siert wer­den und unter ande­rem in ein Pro­gramm zur Bele­bung der staat­li­chen Schwei­­ne- und Hüh­ner­mast­be­trie­be flie­ßen. An die Stel­le der Pro­duk­ti­ons­ver­pflich­tung tritt der Ver­trag, wel­cher die Ver­mark­tungs­ka­nä­le ver­brei­tern und für mehr Ver­bind­lich­keit und Trans­pa­renz unter den Akteu­ren sor­gen soll. Koope­ra­ti­ven und Ein­zel­bau­ern dür­fen, auch im Ver­bund, Immo­bi­li­en anmie­ten und ihre .ber­schüs­se dort in eige­nen Ver­kaufs­stel­len feil­bie­ten. Dar­über hin­aus sieht das Paket vor, aus­län­di­schen Unter­neh­men (dar­un­ter die Fir­men der Son­der­wirt­schafts­zo­ne Mari­el den direk­ten Ver­kauf von Zwi­schen­gü­tern wie Dün­ge­mit­tel, Tier­fut­ter, Aus­rüs­tung und Maschi­nen an die Bau­ern zu gestat­ten. Die not­wen­di­gen Devi­sen hier­für kön­nen von den Pro­du­zen­ten über Expor­te und Ver­käu­fe an staat­li­che Super­märk­te ein­ge­nom­men wer­den. Im Sep­tem­ber haben die ers­ten Koope­ra­ti­ven auf Kuba begon­nen, Limet­ten und Avo­ca­dos nach Spa­ni­en zu lie­fern; bis­her hält sich der Umfang der Expor­te aller­dings stark in Gren­zen. „Im staat­li­chen wie im nicht-staa­t­­li­chen Bereich“ sol­len neue klei­ne und mitt­le­re Unter­neh­men gebil­det wer­den, wel­che die Pro­duk­ti­on von Agrar­roh­stof­fen und Zwi­schen­gü­tern unter­stüt­zen sol­len. Die­se dür­fen die Pro­du­zen­ten neu­er­dings direkt ein­kau­fen, anstatt aus­schließ­lich auf staat­li­che Zutei­lun­gen ange­wie­sen zu sein. Die aus­ufern­de Büro­kra­tie soll bekämpf wer­den, indem „die Kom­pe­tenz sämt­li­cher Kader des Agrar­sek­tors über­prüft“ und die­se gege­be­nen­falls von ihrem Pos­ten ent­fernt wer­den. „Alles, was die Pro­duk­ti­on för­dert, Hemm­nis­se besei­tigt und den Pro­du­zen­ten nützt, ist gut“, gab Prä­si­dent Miguel Díaz-Canel als Cre­do für die Reform aus, deren Inhal­te erst­mals im ver­gan­ge­nen Novem­ber vor­ge­stellt wur­den. Nach einer ers­ten Son­der­sen­dung zu den neu­en Kre­di­ten und Ver­si­che­run­gen am Frei­tag sol­len in den kom­men­den Wochen die wei­te­ren Inhal­te der Agrar­re­form vor­ge­stellt wer­den, kün­dig­te der Mode­ra­tor der „Mesa Redon­da“ (Run­der Tisch), Ran­dy Alon­son, an. Auch wenn noch vie­le Inhal­te des ursprüng­li­chen Reform­plans feh­len, stellt das Paket selbst in sei­ner redu­zier­ten Form die umfang­reichs­te Neu­aus­rich­tung der kuba­ni­schen Land­wirt­schafts­po­li­tik seit den 1990er Jah­ren dar. Vie­le alte Pro­ble­me, die von Sei­ten der Pro­du­zen­ten immer wie­der moniert wur­den, sind adres­siert wor­den. Bis die Maß­nah­men auf den Tel­lern der Bevöl­ke­rung lan­den, wird es aller­dings noch dau­ern: Ände­run­gen in der Land­wirt­schafts­po­li­tik brau­chen Zeit – momen­tan das knapps­te Gut in Kubas Reformprozess.